Franz

Christoph Geist, Pfarrer im (Un-) Ruhestand

Gemeinsam mit den Kirchengemeinden Pankratius Paulus und Thomas ist die Jugendwerkstatt Träger des „Nordstadt-Netzes“ in der Werkstattkirche. Diese stadtteil orientierte Gemeinwesenarbeit zielt darauf ab, Menschen zu ermutigen und zu motivieren, sich mit anderen gemeinsam für ihre Interessen zu engagieren, statt sich abzukapseln und zu vereinsamen.

Der folgende Bericht bietet einen kleinen Ausschnitt aus dieser Arbeit. Wer mehr erfahren möchte, kann sich auch direkt an die beiden Mitarbeitenden in der Werkstattkirche wenden: Bärbel Weigand (0177-79 88 387) Christoph Geist (0171 78 12 936).

Franz

Franz ist an die falsche Person geraten. Wir kannten ihn eigentlich schon eine ganze Weile und wussten, dass er Schwierigkeiten hat mit Lesen und Schreiben. Man hört das und denkt dann: Der braucht halt jemanden, der ihm Briefe, Rechnungen und amtliche Schreiben vorliest. Und natürlich muss immer jemand für ihn schreiben: Briefe, Anträge ausfüllen und so etwas.

Aber da ist ja noch viel mehr: Straßenschilder, Namen an der Klingel, Bezeichnungen von Gebäuden und Ämtern. Keine Hinweise und Gebrauchsanweisungen, keine Fahrpläne und Kontoauszüge. Und wer macht die Überweisungen? Du brauchst nicht immer mal jemanden für dies und jenes. Du brauchst ständig einen Menschen, der den ganzen Verwaltungsaufwand für dein Leben in der Hand hat, verwaltet und sortiert: Bankgeschäfte, Versicherungen, Verträge, Anträge, Mietangelegenheiten und was da sonst noch an Schriftlichkeiten ist. Und diesem Menschen musst du eigentlich „blind“ vertrauen. Du musst glauben, was dir vorgelesen wird. Du kannst es ja nicht nachprüfen. Und wenn dir dieser jemand sagt, dass du etwas unterschreiben sollst, hast du keinerlei Kontrolle. Eigentlich bist du ausgeliefert.

So ging es Franz. Er lebt allein von einer kleinen Rente und noch etwas Sozialhilfe, damit es zum Existenzminimum reicht. Blind vertraute er per Vollmachten seinen kompletten Schriftverkehr und sämtliche Bankangelegenheiten einem Menschen an, von dem er perfide ausgenutzt und ausgenommen wurde viele Jahre lang. Erst jetzt wurde das anders und es hat ein ganzes Netzwerk von Menschen gebraucht, um Franz aus dieser Klemme zu bekommen.

Franz ist ein freundlicher, unauffälliger Mensch. Er ist hilfsbereit und scheint stets mit dem Leben zufrieden zu sein. Seit etwa 10 Jahren schon arbeitet er ehrenamtlich bei der Tafel, hat dort sein tägliches Auskommen, Gesellschaft, Beschäftigung und immer genug zu essen. Dort ist er mit unserer Werkstattkirche in Kontakt gekommen, sorgt immer für die ordentlich abgepackte Zuteilung für den „Pfarrer“ in der Nordstadt, wenn dort gekocht wird oder es zu anderen Anlässen etwas zu essen gibt.

Einige Leute in Franzens Umgebung wussten um die vermeintliche „Vertrauensperson“ und dass bei Franz von dem wenigen Sozialgeld nur ein kleiner Teil ankam. Teilweise wurde er auch dafür so ein bisschen verspottet, manche versuchten aber auch, ihn davon zu überzeugen, dass diese Frau ihn schamlos ausnahm. Aber eine Alternative bot ihm niemand. Vielleicht hatte er selbst auch schon Zweifel. Aber was sollte er machen, an wen sich wenden? Was da alles neu geregelt werden musste, war für ihn wie ein undurchdringliches Dickicht.

Für uns war Franz die gute Seele bei der Tafel, die unsere Arbeit verlässlich mit Lebensmitteln unterstützte. Wir waren ihm dankbar und zeigten ihm das auch. So wurden wir vertrauter miteinander. Franz wohnt selbst auch in der Nordstadt und so luden wir ihn auch zu Veranstaltungen zu uns in die Werkstattkirche ein. Und er kam und fühlte sich sichtlich wohl bei uns. Noch besser lernten wir uns kennen, als Franz wie die anderen Mieter seines Hauses die Kündigung für seine Wohnung erhielt, weil das Haus abgerissen werden soll. Wir boten den Mietern der beiden Abrisshäuser an, sie zu unterstützen bei dem, was mit der Kündigung auf sie zukam. Franz kannten wir schon, er vertraute uns und er brauchte ja auch noch viel mehr Unterstützung als die anderen. Das erfuhren wir aber auch erst im Verlauf der Zeit.

Die Veruntreuung eines größeren Betrages auf seinem Konto durch seine „Vertraute“ brachte Franz in große Finanznot. Als wir davon erfuhren, boten wir unsere Unterstützung an. Zuerst nur in diesem Fall. Aber er merkte, dass wir es gut mit ihm meinen, dass er nicht allein ist. Wir besuchten mit ihm seine Verwandten in Lich und besprachen gemeinsam seine Situation. Ein großer Glücksfall für ihn war dabei die Familie seines Bruders, zu der er bisher nur wenig Kontakt hatte. Wir kamen gleich in sehr gute Zusammenarbeit, verschafften Einblick in Franzens Lebensumstände und koordinierten ein paar Gespräche, Termine und Schriftlichkeiten. Jetzt konnten wir gemeinsam anfangen, ein Unterstützungsnetz für Franz zu knüpfen. So wagte er endlich, der „Vertrauten“ alle Vollmachten zu entziehen.

Schließlich nahm die Schwägerin in eigener Regie einen Vorgang nach dem anderen in die Hand, telefonierte mit allen möglichen Ämtern, sorgte für Franz, als ihm bei Geldmangel der Strom abgestellt wurde und nahm ihn nach einer Operation für einige Wochen in der Wohnung des Bruders mit auf. Gemeinsam organisierten wir Unterstützung und Ablauf, als der angekündigte Umzug anstand. Gemeinsam besprechen wir noch alle offenen Fragen und notwendige Unterstützung in allen anderen Bereichen seines „neu wiedergewonnenen“ Lebens.

Denn genau das ist passiert: Von einer undankbaren, unzuverlässigen und für ihn äußert schädlichen Beziehung konnte Franz in eine gesunde, liebevolle und nachhaltig positiv wirksame Lebenssituation gebracht werden. Die Freunde, Nachbarn, Kollegen und die Familie sind ja eigentlich auch alle schon da gewesen, sie wussten nur nicht genug voneinander und von Franz. Sie konnten so jeder für sich Franz nicht helfen, es stand auch nicht auf seiner Stirn, dass er nicht lesen und schreiben kann und daher auf die Hilfe dieser „Vertrauten“ angewiesen war. Wir von der Werkstattkirche haben quasi als „Katalysator“  fungiert, die Menschen in seinem Sinne und zu seinem Wohl informiert und so zusammengebracht. Unser Kontakt reißt nicht ab, aber die weiter notwendige Hilfe bekommt er nun aus einem Netzwerk, das um ihn Bescheid weiß und sein Leben von erheblicher Belastung befreit.

 

Das obere Bild zeigt Christoph Geist, Pfarrer i.R.

Das untere Bild zeigt Bärbel Weigand, Mitarbeiterin der Jugendwerkstatt für die Gemeinwesenarbeit in der Gießener Nordstadt.