Mit unserer Arbeit der Konsumgesellschaft entgegenwirken

Im Rahmen der 8. Fashion Revolution Week (FRW) stellen sich diese Woche wieder viele Menschen die Frage #WhoMadeMyClothes? Mancherorts heißt es aber auch: What do you do with my clothes? Katharina Reichel, Kaufhausleitung in der Jugendwerkstatt Gießen gGmbH, steht dazu Rede und Antwort.


FRW: Guten Morgen Katharina. Danke, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast. Möchtest du dich zu Beginn kurz vorstellen?

K.R.: Guten Morgen. Klar, gerne! Mein Name ist Katharina Reichel, ich bin Pädagogin und Fachanleiterin in der Jugendwerkstatt und leite das Kaufhaus seit 2017.

FRW: Wie sieht deine Arbeit aus?

K.R.: Vielfältig. Besonders Freude macht mir die Reha-Ausbildung. Das ist Arbeit, die mir sehr viel Spaß macht. Menschen zu unterstützen, die es auf dem ersten Arbeitsmarkt schwer haben, z.B. durch schulische Schwierigkeiten, das ist meine große Erfüllung.

FRW: Wie ist das Kaufhaus entstanden bzw. wie lange gibt es das Kaufhaus schon?

K.R.: Die Jugendwerkstatt wurde 1982 gegründet. Das Kaufhaus wurde dann um die Jahrtausendwende herum eröffnet.

FRW: Wer arbeitet im Kaufhaus?

K.R.: Im Kaufhaus arbeiten insgesamt ca. 20 Personen, davon fünf feste Belegschaft der Jugendwerkstatt. Das Kaufhaus arbeitet teilnehmergestützt, das heißt, bei uns werden verschiedene Menschen in verschiedenen Maßnahmen qualifiziert bzw. ausgebildet. Das sind die Q&B-Maßnahme, AGH- und ASA-Maßnahme, 16i-Kräfte und eben Auszubildende.

FRW: Was für Kleidung wird im Kaufhaus angeboten? Was für ein Sortiment gibt es dort?

K.R.: Wir nehmen die Kleidung an, die von Spender*innen abgegeben wird. Die Kleidung wird zum Verkauf angeboten. Das Kaufhaus verkauft neben Kleidung Hausrat also Töpfe, Pfannen, Becher, Gläser, Möbel aber keine Elektrogeräte. Also Gabel, Messer, Schere - ohne Licht.
Die Kleidung ist bunt gemischt. Kinderkleidung, Erwachsenenkleidung, Damen, Herren, Tischwäsche. Das Preissegment ist günstig, aber auch mal höher, je nachdem. Auch Pelzmäntel werden abgegeben. Ist schon fragwürdig. Aber wir verkaufen natürlich auch große Marken. Die Preisspanne ist trotzdem klein: 0,50€ bis 30€.

FRW: Was wird nicht angeboten?

K.R.: Unterwäsche, Socken, sowas wird nur verpackt angenommen. Brauchbar, gewaschen, so dass man es selbst noch tragen würde, das ist die Regel.

FRW: Woher bezieht das Kaufhaus die Kleidung?

K.R.: Wir bekommen das alles über Spender*innen. Jede*r kann bei uns spenden, der gut erhaltene Ware hat. Die Warenannahme haben wir erneuert. Früher wurde die mit im Kaufhaus gemacht, jetzt ist sie direkt neben dem Kaufhaus, kann aber aktuell nicht geöffnet werden, wegen Corona. Reguläre Öffnungszeiten seit der Pandemie sind Freitag 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr. Da kommen aktuell so 160-180 Spender*innen in drei Stunden.
Es muss dann genau durchgeschaut werden, ob Ware noch verkaufsfähig ist. Menschen, die nicht so viel Geld haben, denen wollen wir schöne Sachen anbieten. Deshalb muss sortiert werden. Wenn Ware defekt oder nicht verkaufsfähig ist, geben wir sie zurück und erklären, warum wir sie nicht annehmen.
Die Teilnehmenden müssen das einschätzen und natürlich rutscht auch was durch. Vieles muss leider auch entsorgt werden. Das liegt in der Natur der Sache. An der Warenannahme ist Andrang und es geht schnell.  Ein Problem für uns sind oft auch die Mengen der abgegebenen Waren, weshalb wir Sachen auch kostenpflichtig bei der Stadt entsorgen müssen.

FRW: Welche Absichten verfolgt das Kaufhaus?

K.R.: Wir sind ein reiner Qualifizierungsbetrieb. Junge und ältere Menschen, die es auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht geschafft haben, wieder dorthin zu begleiten, das ist unser Ziel. Trotzdem müssen wir Geld erwirtschaften. Alle Einnahmen fließen in die Maßnahmenfinanzierung, z.B. für Zusatzangebote. Viele haben nicht so viele schöne Dinge in ihrem Leben, ein bisschen kann damit finanziert werden.  
Ein weiteres Ziel ist Nachhaltigkeit. Das ist ein schönes Ziel, was wir zusätzlich verfolgen können. Wir möchten mit unserer Arbeit der Konsumgesellschaft entgegenwirken. Besonders bei Kleidung – vieles, was hier abgegeben wird, ist vollkommen in Ordnung. Ich sehe es sehr kritisch, dass Menschen an anderer Stelle viel zu viel konsumieren. Wir geben den Kleidungsstücken einen 2. Lebensabschnitt.

FRW: Achtet ihr auf bestimmte Merkmale der Kleidung?

K.R.: Nein, das können wir nicht. Und dann hätten wir keine Ware. Das meiste ist nicht fair produziert. Aber dafür Secondhandware.  

FRW: Gibt es eine spezielle Personengruppe?

K.R.: Es ist sehr vielfältig. Wir haben trotzdem, besonders im Möbelbereich, viele Menschen die nicht viel Geld haben. Hartz-IV-Empfänger*innen oder Studierende. Menschen mit kleinem Budget. Aber wir sind für alle offen. Niemand braucht einen Berechtigungsschein. Jede*r hat Möglichkeit nachhaltig einzukaufen und das finde ich gut. Viele Studierende kommen extra deswegen und äußern das immer wieder. Aber auch Händler*innen kommen vorbei, die sich dann Schnäppchen holen und auf dem Flohmarkt weiterverkaufen – das ist wenig erwünscht. Daran bereichern wollen wir uns nicht. Aber jede*r darf hier einkaufen.
Es gibt immer Menschen die wiederkommen, ich kenne viele Kund*innen. Viele kommen täglich, unsere Stammkund*innen und wir sind ein Treffpunkt in der Weststadt. Viele kennen auch Teilnehmer*innen und kommen zum Plausch vorbei. In den letzten Jahren sind mehr Studierende zu uns gekommen, da unsere Öffentlichkeitsarbeit vermehrt auch diese Zielgruppe angesprochen hat.

FRW: Veranstaltet das Kaufhaus bestimmte Aktionen zum Thema Kleidung?

K.R.: Ja! Wir haben schon mehrere Kleidertauschparties veranstaltet. Greenpeace und die BUND Jugend haben uns angesprochen und es gab gemeinsame Aktionen hier.

FRW: Eine letzte Frage, Katharina. Was ist deine persönliche Motivation hier zu arbeiten?

K.R.: Ich sehe das schon als sehr wichtig an. Für mich ist es wichtig nachhaltig zu leben. Seit ich hier bin, ärgere ich mich immer mehr darüber, dass Menschen so viel wegschmeißen. Ich sehe jeden Tag was alles weggeschmissen wird und das unnötig. Hat mich auch persönlich motiviert mich privat noch nachhaltiger zu verhalten. Jetzt habe ich einen Wettstreit mit meinem Mann, was man aus unseren Dingen noch upcyclen kann.  Ich ärgere mich, dass die Leute sagen „ich habe ja so viel Zeug“ und dann wird es abgeladen bei uns. Es wird aber bei vielen immer doch wieder neu gekauft. Das verstehe ich nicht.