So wie ich bin, passe ich hier gut rein

Im Rahmen der 8. Fashion Revolution Week (FRW) stellen sich diese Woche unterschiedliche Akteur:innen im Bereich Bekleidung in Gießen vor. Eine Interviewpartnerin der Reihe ist die Modedesignerin und Fachanleiterin Kerstin Vetters.

FRW: Hallo Kerstin. Danke, dass du dir Zeit für das Interview nimmst.

K.V.: Selbstverständlich. Und bei dem schönen Wetter in der Sonne sitzen dabei ist doch herrlich.

FRW: Möchtest du dich und den Bereich, in dem du arbeitest, kurz vorstellen?  

K.V.: Nach dem Abitur habe ich eine Ausbildung zur Damenschneiderin in der Kreisberufschule gemacht und dann Modedesign studiert. Es folgten verschiedene Jobs als Damenschneiderin und im Design, z.B. in Frankfurt. Aber irgendwie hat es mich nach Gießen zurückgezogen. Als ich Nähkurse in der Kirche gab, hörte ich von einer freien Stelle in der Jugendwerkstatt. Und so bin ich hier gelandet.
Die Kreatex-Abteilung der Jugendwerkstatt ist in dieser Form vor drei Jahren entstanden. Davor war es die Näh- bzw. die Lager- und Nähabteilung. Ich bin 2007 hergekommen. Meine ehemalige Vorgesetzte kannte die Jugendwerkstatt und hat den Kontakt vermittelt.
Das Textilbündnis habe ich dann durch die Arbeit im Bereich kennengelernt und es herrschte von Beginn an eine enge Kooperation. Wir waren und sind im persönlichen Kontakt.

FRW: Wer arbeitet in der Kreativabteilung?

K.V.: Wir haben zwischen zehn und 20 Teilnehmende unterschiedlichen Alters, die im Schichtbetrieb arbeiten. Durch Corona haben wir das System nochmal verstärkt, damit immer die gleichen Personen vor Ort aufeinandertreffen. Ich bin als Fachanleiterin für den Bereich zuständig. In der Jugendwerkstatt verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz und arbeiten nach dem Produktionsschulansatz.

FRW: Welche Materialien verwendet ihr in der Kreativabteilung? Und woher bezieht ihr sie?

K.V.: Das sind Spenden, die wir über die Warenannahme des Kaufhauses bekommen. Wir bekommen vieles z.B. aus Wohnungsauflösungen. Aber auch beim Textilbündnis im PEPP-Laden werden Sachen für uns abgegeben. Und daraus entstehen dann, je nach Material, immer wieder neue Projekte. Gerade haben wir die erste Pumphose für den Sommer genäht – vielleicht machen wir da mehr von. Eine Teilnehmerin hat vor Monaten begonnen Taschen aus Krawatten zu nähen. Da sind mittlerweile richtig schöne Unikate draus entstanden. Aber wir fertigen auch Sachen nach Bedarf, z.B. bei internen Aufträgen. Aktuell merken wir, dadurch, dass die Warenannahme coronabedingt geschlossen ist, dass die Materialauswahl weniger vielfältig ist.
Wir suchen uns also die Materialien bedarfsgerecht aus und können vieles weiterverwenden, was ansonsten ggf. nicht mehr genutzt worden wäre. Für unsere Teilnehmenden kann ich damit haptisch etwas erlebbar machen. Das Probieren mit vielen Sinnen, auch mal dreckig werden und seine Sinne und eigenen Fähigkeiten (neu) kennenlernen, das ist hier möglich. Aber es geht auch viel um das Gruppengefühl, um Grenzen.

FRW: Achtet ihr denn bei der Materialauswahl auf bestimmte Merkmale der Kleidung?

K.V.: Wir arbeiten mit den Dingen, die uns zur Verfügung stehen. Aber im Bereich beschäftigen wir uns mit unterschiedlichen Materialien und lernen z.B. wie man Baumwolle von Polyester unterscheidet und wo die Unterschiede liegen. Dabei kann man auch die Nachhaltigkeit und Vergänglichkeit von bestimmten Materialien thematisieren. Die Rückgewinnung von Rohstoffen aus den Materialien ist aber zu komplex und aufwändig, um sie hier durchzuführen. Gerne verwenden wir für unsere Produkte aber Baumwolle, z.B. aus gespendeter Tischwäsche.

FRW: Veranstaltet das Kreatex bestimmte Aktionen zum Thema Kleidung?

K.V.: Kleidertauschparties gab es in unserem Kaufhaus mehrere. Aber auch unsere Hemdentasche ist eine gemeinsame Aktion mit dem Textilbündnis. Wir haben auch schon Modenschauen aus Upcyclingkleidung veranstaltet und in diesem Rahmen über die Wiederverwertbarkeit von Kleidung informiert.
Intern gibt es keine Veranstaltungen, aber da schlagen wir trotzdem eigentlich in die gleiche Kerbe. Wir fertigen z.B. Stuhlüberzüge oder Vorhänge bei Bedarf oder reparieren die Arbeitskleidung.

FRW: Was ist deine persönliche Motivation hier zu arbeiten?

K.V.: Es sind all die Dinge, die ich schon genannt habe. Und meine Kolleg*innen. So wie ich bin, pass ich hier gut rein. Mit Menschen zu tun haben ist, bereitet mir Freunde. Und dass mir das Leben die Chance gegeben hat aus beidem was zu machen. Dem Nähen und der Arbeit mit Menschen.